
Es gibt eine Geschichte über den Stürmer Marko Pantelic aus jenem Frühsommer 2007, als in Berlin die Erkenntnis reifte, dass Hertha BSC einen neuen Trainer braucht. Einen, der alles auf den Kopf stellt, einen wie Lucien Favre. Die Geschichte geht so, dass die Hertha im Olympiastadion Werder Bremen empfing, an einem dieser sonnig-milden Nachmittage, von denen man annehmen muss, dass sie eigens dafür erfunden wurden, Fußballspielen als Rahmen zu dienen. Aber Marko Pantelic sollte sich auf die Ersatzbank setzen. Damals war Karsten Heine der Coach in Berlin, kurz vor dem Anpfiff raunte Pantelic ihm zu: »Trainer, hier sind 70000 Leute im Stadion, aber keiner ist wegen Ihnen gekommen.« Dann setzte er sich auf die Ersatzbank. Hertha verlor 1:4.
Mit Marko Pantelic wäre das womöglich nicht passiert. Pantelic hätte vielleicht das Spiel seines Lebens gemacht, und wer weiß, unter Umständen wäre bis heute Karsten Heine der Hertha-Trainer. Es ist nicht wahrscheinlich, dass es so gekommen wäre. Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass Marko Pantelic sich sehr gut vorstellen kann, dass es so gekommen wäre.
Marko Pantelic hat eine große Anzahl außergewöhnlicher Fähigkeiten, seine Ballbeherrschung ist ein Genuss, sein Instinkt legendär, seine Kaltschnäuzigkeit für jeden Torhüter eine Bedrohung. Aber seine außergewöhnlichste Eigenschaft ist sein Selbstbewusstsein. Eine Zeit lang wurde der Serbe in Berlin dafür kritisiert, dass er zu viel mit dem Außenrist herumdaddele. Seine Antwort war nicht etwa, dass er von nun an weniger mit dem Außenrist herumdaddelte. Seine Antwort war, dass er mit dem Außenrist ein Traumtor fabrizierte, so ein Ding genau in den Winkel, und dann verkündete: »Ich tue das aus Liebe – der Außenrist ist der Ausdruck meiner Liebe zum Fußball.« Großes Theater! In einer Zeit, da die Liga zunehmend Gefallen an Schwiegersohntypen aus der Nuss-Nougat-Creme-Werbung sowie kickenden Jungakademikern findet, ist Marko Pantelic so etwas wie die letzte Diva.
Beleidigung seiner Kreativität
Nur: Wenn Lucien Favre, dem uneitlen Schweizer, etwas suspekt ist, dann Divenhaftigkeit. Das hat das Verhältnis des Trainers zu seinem Stürmer in Favres erster Berliner Saison nicht gerade einfach gemacht. Es kam vor, dass man Favre eine Pantelic-Frage stellte und er entgegnete, Arne Friedrich habe heute ein gutes Spiel gemacht, und wenn man die Sprache dann nochmal auf Pantelic brachte, lobte Favre die Leistung von Raffael, seinem Lieblingsstürmer. Und niemand wunderte sich.
Denn während Favre Wert darauf legt, seine taktischen Vorgaben auf dem Rasen wiederzuerkennen, hält Pantelic abgesprochene Laufwege eher für eine Beleidigung seiner Kreativität. Und anstatt nach den Partien mit den Kollegen auszulaufen, gönnt er sich schon Mal eine Massage, was er dann mit temporärer Unpässlichkeit begründet.
Trotzdem ist es kaum vorstellbar, dass ein Hertha-Trainer den serbischen Nationalspieler nochmal freiwillig auf die Bank setzt. Auf Pantelic zu verzichten, hieße, einen finsteren Fluch über dem eigenen Team auszubreiten. Nicht nur wegen seiner inzwischen 39 Bundesliga-Treffer seit er – nach zuvor neun Stationen in acht Jahren – 2005 aus Belgrad nach Berlin wechselte. Nicht nur, weil Pantelic im Grunde Recht hat mit seiner Vermutung, dass ein guter Teil der Zuschauer seinetwegen ins Stadion kommt. Sondern weil es da diese verblüffende Statistik gibt: Ohne Marko Pantelic hat Hertha seit drei Jahren kein Spiel mehr gewonnen. Es müssen wohl ein paar glückliche Umstände zusammenkommen, damit Favres Hertha am Sonntag beim FC Bayern nicht die erste Saisonniederlage kassiert. Doch vor allem muss Marko Pantelic in der Startelf auflaufen.
Virtuelles Zu-verkaufen-Schild
Seine Bilanz der noch jungen Spielzeit liest schon wieder glänzend: Er traf beim 1:1 gegen Bielefeld, im DFB-Pokal gegen Trier, er schoss seinen Klub mit vier Toren gegen Otaci und Ljubljana in die Hauptrunde des Uefa-Pokals. Und er hat sich offenbar weiterentwickelt: Beim 2:0‑Auftaktsieg gegen Eintracht Frankfurt bereitete er beide Tore vor. Das war neu. Früher kam es sogar vor, dass der Hertha-Manager und erklärte Pantelic-Fan Dieter Hoeneß die Spielweise des Serben mit einer Ich-AG verglich. Nun scheint gar Skeptiker Favre überzeugt zu sein. Die Schlagzeile »Favre lobt Pantelic« musste sich, was ihren Sensationsgehalt angeht, im Berliner Boulevard der letzten Woche nicht verstecken hinter knallharter Konkurrenz wie »Britischer Busenstar fällt fast aus dem Taxi«.
Inzwischen scheint sich das gegenseitig zu veredeln: die junge Hertha mit ihrem strategischen Offensivdrang und die Diva Pantelic mit ihren Geistesblitzen. Keine Frage, dass Pantelics Marktwert dadurch weiter steigt. Deshalb geht es für Lucien Favre jetzt auch darum, Pantelics Fähigkeiten auszunutzen – und sich doch von ihnen unabhängig zu machen. Denn genauso wie lange Haare und theatralische Gesten gehört zu Pantelic, dass er permanent mit einem virtuellen »Zu-verkaufen«-Schild auf der Stirn herumläuft und sich mit dem Klub in einem skurrilen Vertragspoker befindet.
In Berlin verdient er bisher angeblich 1,5 Millionen Euro plus Prämien. Anderswo, heißt es, wäre das Dreifache drin. Im Sommer 2009 läuft sein Vertrag aus, dann ist er ablösefrei, und es spricht deshalb einiges dafür, dass gerade seine letzte Berliner Saison begonnen hat. Aber wer weiß: Marko Pantelic hat sein Umfeld ja schon häufiger überrascht.
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